Was versteht man unter einem Digital Twin?

Ein Digital Twin, zu Deutsch digitaler Zwilling, ist eine virtuelle Abbildung eines physischen Objekts, Systems oder Prozesses. Diese digitale Repräsentation bildet nicht nur die äußere Form nach, sondern spiegelt auch das Verhalten, die Eigenschaften und den aktuellen Zustand des realen Gegenstücks wider. Der entscheidende Unterschied zu herkömmlichen 3D-Modellen oder Simulationen liegt in der kontinuierlichen Verbindung zwischen dem physischen und dem digitalen Objekt.

Während eine klassische Simulation auf statischen Daten basiert, wird ein Digital Twin durch Echtzeitdaten aus Sensoren kontinuierlich aktualisiert und synchronisiert.

Einfach erklärt:
Man kann sich einen Digital Twin wie einen digitalen Spiegel vorstellen: Jede Bewegung, jeder Zustand des realen Objekts wird in Echtzeit im digitalen Abbild sichtbar. Während der physische Zwilling in der echten Welt arbeitet, zeigt sein digitales Abbild alle Zustände und Bewegungen in Echtzeit. Wenn sich z. B. in einer Maschine die Temperatur ändert, zeigt auch ihr digitaler Zwilling diese Veränderung sofort an. So können Ingenieure sehen, was im Inneren passiert, Probleme früh erkennen und Abläufe optimieren – ohne die echte Anlage anfassen zu müssen.

Woraus besteht ein Digital Twin?

Ein Digital Twin setzt sich aus drei wesentlichen Komponenten zusammen.

Die erste Komponente ist das physische Objekt oder System in der realen Welt.

Die zweite Komponente ist das digitale Modell, das im virtuellen Raum existiert. Das digitale Modell kann physikbasiert sein und etwa thermodynamische oder mechanische Gesetzmäßigkeiten abbilden. Die Datenmodellierung umfasst sowohl geometrische Strukturen als auch Verhaltensparameter und historische Daten.

Die dritte Komponente ist die Datenverbindung zwischen beiden Welten. Über Sensoren, IoT-Geräte und Netzwerkverbindungen werden kontinuierlich Daten vom physischen Objekt zum digitalen Modell übertragen. Diese bidirektionale Kommunikation ermöglicht es, dass Änderungen in der realen Welt sofort im digitalen Modell sichtbar werden und umgekehrt Erkenntnisse aus der digitalen Analyse zur Steuerung des physischen Objekts genutzt werden können.

Wie funktioniert ein Digital Twin?

Die Funktionsweise basiert auf einem kontinuierlichen Kreislauf von Datenerfassung, Verarbeitung und Rückkopplung. Sensoren am physischen Objekt erfassen verschiedene Parameter und übermitteln diese über IoT-Plattformen an das digitale Modell.

Im digitalen Raum wird das virtuelle Modell mit den aktuellen Messwerten synchronisiert und bildet so den momentanen Zustand des realen Objekts ab. Mithilfe von Algorithmen und künstlicher Intelligenz werden diese Daten analysiert, um Muster zu erkennen, Anomalien zu identifizieren oder zukünftige Entwicklungen vorherzusagen.

Da das digitale Modell das Verhalten des physischen Objekts kennt, lassen sich verschiedene Szenarien durchspielen, ohne das reale Objekt zu gefährden. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen zurück in die Steuerung des physischen Objekts.

Welche Arten von Digital Twins gibt es?

Digital Twins lassen sich nach ihrem Einsatzzweck unterscheiden:

Typ Beschreibung Einsatzzweck
Digital Twin Prototype (DTP) Wird bereits in der Entwicklungsphase eines Produkts eingesetzt Virtuelles Testen verschiedener Designvarianten
Digital Twin Instance (DTI) Virtuelle Repräsentation eines bereits existierenden, individuellen physischen Objekts Betrieb, Überwachung und Wartung
Digital Twin Aggregate (DTA) Fasst mehrere Digital Twin Instances zusammen Übergreifende Musteranalyse und Optimierung der Gesamtperformance

Besonders in der Produktentwicklung bietet der Digital Twin Prototype erhebliche Vorteile. Entwickler können Produktvarianten testen, Schwachstellen identifizieren und Optimierungen vornehmen, bevor kostspielige physische Prototypen gebaut werden.

Ein Digital Twin kann über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg eingesetzt werden – von der Entwicklung über die Fertigung und den Betrieb bis hin zur Entsorgung. Diese durchgängige Begleitung ermöglicht kontinuierliche Verbesserungen und die Nutzung von Erkenntnissen aus späteren Phasen für zukünftige Produktgenerationen.

Welche Einsatzszenarien gibt es für Digital Twins?

Die Einsatzszenarien für Digital Twins sind vielfältig und erstrecken sich über nahezu alle Branchen:

In der Produktion und Fertigung sind Digital Twins ein Kernelement von Industrie 4.0 und werden zur Optimierung von Produktionslinien, zur vorausschauenden Wartung von Maschinen und zur Qualitätssicherung eingesetzt.

Im Bereich Infrastruktur und Gebäude ermöglichen sie die Verwaltung komplexer Gebäudetechnik. Heizung, Lüftung, Beleuchtung und Sicherheitssysteme werden überwacht und optimiert. Städte nutzen das Konzept für Verkehrsplanung, Energiemanagement und Stadtentwicklung.

In der Luftfahrt und Automobilindustrie werden einzelne Produkte als Digital Twin abgebildet, um Wartungsintervalle präzise zu planen und die Sicherheit zu erhöhen. Auch Prozesse und komplexe Systeme wie Lieferketten oder Stromnetze lassen sich digital abbilden und optimieren.

Welche Technologien bilden die Grundlage?

Die Realisierung eines Digital Twin erfordert das Zusammenspiel verschiedener Technologien:

  • Internet of Things (IoT) und Sensorik: Bilden die Grundlage für die Datenerfassung am physischen Objekt.
  • Cloud Computing: Stellt die notwendige Rechenleistung und Speicherkapazität zur Verfügung, um die enormen Datenmengen zu verarbeiten.
  • Datenanalyse und künstliche Intelligenz: Machine Learning-Algorithmen erkennen Muster in den Daten, erstellen Vorhersagemodelle und ermöglichen automatisierte Entscheidungen.
  • 3D-Modellierung und Visualisierung: Machen den digitalen Zwilling nutzbar und ermöglichen eine intuitive Interaktion mit dem digitalen Modell.
  • Digital Twin Plattformen: Spezialisierte Softwareplattformen integrieren alle notwendigen Technologien und bieten standardisierte Schnittstellen für die Erstellung und Verwaltung digitaler Zwillinge.

Welchen Nutzen bieten Digital Twins?

Durch die kontinuierliche Überwachung und Analyse lassen sich Prozesse optimieren, Energieverbrauch reduzieren und die Produktivität erhöhen.

Predictive Maintenance ist einer der wichtigsten Anwendungsfälle. Der Digital Twin ermöglicht die Vorhersage von Verschleiß und Defekten. Wartungsarbeiten können genau dann durchgeführt werden, wenn sie wirklich notwendig sind, was ungeplante Stillstände verhindert und Kosten senkt.

Die Möglichkeit, Szenarien risikolos zu simulieren, spart Zeit und Kosten. Neue Konfigurationen oder Belastungstests können virtuell durchgeführt werden, ohne die reale Anlage zu gefährden oder die Produktion zu unterbrechen.

Zusammenfassung

Der Digital Twin ist eine virtuelle Echtzeit-Abbildung, die die physische und digitale Welt verbindet. Als zentraler Baustein der digitalen Transformation ermöglicht er Effizienzsteigerung, Kostenreduktion und datenbasierte Entscheidungen in der Verwaltung und Optimierung von Assets und Systemen.

Hendrik Schrandt


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